Auf der Suche nach einem neuen Gesellschaftsvertrag: soziale Protestbewegungen in Ägypten und Tunesien

13.09.2015

Vortrag von Dr. Irene Weipert-Fenner, Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung am 14. Juli 2015

Irene Weipert-FennerWir alle haben noch die Bilder der arabischen Revolution auf dem Tahrir-Platz in Kairo im Januar 2011 vor Augen. Und wir alle fragen uns: was ist davon geblieben?

Ein sehr differenziertes Bild mit Fokus auf die Proteste der Arbeiter zeichnet uns Dr. Irene Weipert-Fenner von der Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung. Dr. Weipert-Fenner studierte Politikwissenschaft, Arabistik, Religionswissenschaft und Philosophie in München, Erlangen/Nürnberg und Bamberg. Aktuell leitet sie an der HSFK ein Forschungsprojekt zu sozioökonomischen Protesten und politischer Transformation in Ägypten und Tunesien. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Marburg im Forschungsnetzwerk „Re-Konfigurationen. Geschichte, Erinnerung und Transformationsprozesse im Nahen Osten und Nordafrika“. Ein Jahr lang verbrachte sie in Ägypten.

Ish, Huriyya, Adala ijtimaiyya“ (Brot, Freiheit, soziale Gerechtigkeit), dieser allgemeine Slogan zeigt die Richtung der Proteste in Ägypten an. Der Beginn der Demonstrationen wurde zwar, so Weipert-Fenner, von einigen Jugendbewegungen organisiert, zum nötigen Druck um Mubarak aus dem Amt zu treiben trugen jedoch die landesweiten Streiks von Arbeitern unter anderem aus bekannten Arbeiterstädten wie al-Mahalla al-kubra bei.Ihre Forderungen waren: Erhöhung des Mindestlohns, die Bindung der Löhne an die Preisentwicklung, Gründung unabhängiger Gewerkschaften und Bekämpfung der Korruption.

Mit Beginn der Revolution hatte das Mubarak-Regime, so Weipert-Fenner, sämtliche Firmen schließen lassen, diese dann später wieder öffnen lassen, um die Arbeiter vom Tahrir-Platz zurück in die Firmen zu drängen. Der Plan ging nicht auf. Ende Januar wurde die Gründung eines unabhängigen Gewerkschaftsdachverbandes ausgerufen. Die Arbeiter hatten nun die Chance sich frei gegen den staatlich gelenkten Dachverband zu organisieren und zu artikulieren.

Nach der Revolution, nach dem Sturz Mubaraks, übernahm zunächst der Oberste Militärrat die Macht, daraufhin wurde Muhammad Mursi von den Muslimbrüdern zum Präsidenten gewählt, im Sommer 2013 jedoch bereits von der Armee seines Amtes wieder enthoben. Weipert-Fenner weist darauf hin, dass die Proteste vor der Revolution bereits kriminalisiert worden waren, bereits im März 2011 aber die Gesetzgebung noch verschärft wurde. Daran änderte auch die Regierung unter Muslimbruderschaftsführung nichts. Nach dem Militärputsch sind die Möglichkeiten für öffentliche Demonstrationen und Streiks weiter gesetzlich verengt worden. Trotz Repression und einer zunehmend negativen medialen Berichterstattung sind in allen Phasen seit der Revolution 2011 Arbeiter für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen auf die Straße gegangen und werden es mit ziemlicher Sicherheit auch weiterhin tun.

Was bleibt? Die soziale Frage, die zur Massenmobilisierung 2011 maßgeblich beitrug, ist weiterhin ungelöst und führt zumindest auf lokaler Ebene weiterhin zu Protesten. Zunehmende örtlich und in den Forderungen begrenzte Proteste von Arbeitern hatten sich bereits ab 2004 entwickelt. 2011 sprach man davon, dass diese einzelnen Streiks der Revolution den Weg geebnet hätten. Wohin also die aktuellen Proteste führen werden, bleibt abzuwarten.

I. Weipert-Fenner mit Clubpräsidentin C. Willeke

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