Einblick in die Arbeit des Deutschen Filminstituts Frankfurt

27.07.2013

Rüstzeug für die Jugend: Wie Filme zu verstehen sind

Claudia Dillmann, Direktorin des Deutschen Filminstituts Frankfurt„Die Frage nach dem Lieblingsfilm bringt viele Deutsche zum Stottern, auch Politiker.“ Mit diesem Satz ließ Claudia Dillmann, Direktorin des Deutschen Filminstituts Frankfurt (DIF e. V.), die ca. 30 Zuhörerinnen des Zonta Clubs Frankfurt am Main aufhorchen. Im Rahmen des Clubabends am 9. Juli 2013 referierte Claudia Dillmann über „Raum für Filmkultur“ und erläuterte den weitgefächerten Zielekatalog des Deutschen Filminstituts: Filmvermittlung und  Aufbau von Medienkompetenz gehören neben anderen Aspekten zum zentralen Bildungsauftrag der Institution am Schaumainkai.

Woher stammt diese Verlegenheit, wenn es um die Frage nach dem Lieblingsfilm geht? Wer gibt schon gerne freimütig zu, dass „Schwarzwaldmädel“ (1950) oder „Die Mädels vom Immenhof“ (1955) zu den Hits der privaten Filmsammlung zählen oder zumindest in der Erinnerung einen tiefen Eindruck hinterlassen haben? Wenn wir unsere Filmlieblinge heute wieder anschauen, erleben wir die Diskrepanz zwischen prägender Erinnerung und Ernüchterung beim Wieder-Sehen angesichts der filmischen Umsetzung, sparsamen Kameraführung oder auch gewöhnungsbedürftigen Schauspielkunst. „Es gehört eben auch zur Filmkultur“, so Claudia Dillmann, „dass wir die Gründe erklären können, warum der Film in der 50er Jahren so wichtig war und viele von uns so sehr beeindruckt hat.“

Die Filmkultur tut sich in Deutschland schwer: „In Deutschland ist das Verhältnis zum Film eher gestört“, resümierte Claudia Dillmann. „Aufgrund des Missbrauchs des Films als Propagandainstrument in der NS-Zeit“, so die Diagnose der Frankfurter Filmwissenschaftlerin, „funktioniert die Beziehung des deutschen Publikums zum Film nicht mehr.“ Daher wirft uns die Frage nach dem Lieblingsfilm etwas aus der Bahn: „Die Deutschen stehen nicht zu ihren Lieblingsfilmen, weil sie sich schämen.“

Der Frankfurter Kulturstadtrat Hilmar Hoffmann, einer der Gründer des Filmmuseums, hatte in seiner Jugend die Verführung durch den Film im Nationalsozialismus und die manipulative Kraft der Bilder (z. B. durch Leni Riefenstahl) erlebt. Deswegen machte er sich gemeinsam mit dem damaligen Frankfurter Oberbürgermeister, Walter Wallmann, für die Idee des 1984 gegründeten Filmmuseums stark. ‚Ein Haus für den Film‘ steht auf der Website des Deutschen Filmmuseums zu lesen. Entsprechend wird der Film in allen Facetten behandelt: von der Entstehung bis hin zur Rezeption durch Zuschauer und der Archivierung. Heute verkörpert das Filmmuseum, ganz im Sinne der Gründungsväter, die sich dem Ziel verschrieben hatten, Kultur für alle zugänglich zu machen, den integrativen Charakter dieses Mediums. „Nur Bildung und Kultur erlaubt die Teilhabe an einer Gesellschaft. Der Film ist ein fabelhaftes Medium für die Integration von Emigranten und ausländischen Mitbürgern“, konkretisierte Claudia Dillmann den Auftrag des Deutschen Filmmuseums in ihrem Vortrag.

Die Gründungsväter sind sicherlich stolz darauf, wie sich das Filmmuseum mittlerweile entwickelt hat: 200.000 Besucher kamen 2012 angelockt von der Dauerausstellung sowie abwechslungsreichen und für ein breites Publikum ausgerichteten Sonderausstellungen zum Schaumainkai. Davon besuchten 50.000 das Kommunale Kino, in dem u. a. die Filmsammlungen gezeigt werden und das seit den 70er Jahren die Kinolandschaft in Frankfurt bereichert.
Ein weiteres Herzstück des Deutschen Filminstituts stellt das Filmarchiv dar. Das Filminstitut wurde 1949 in Wiesbaden gegründet. Zuvor hatten die Alliierten die Filmkultur in Deutschland zerschlagen. In dieser Stunde Null für die Filmkultur kam es zur Gründung einer neuen deutschen Filmindustrie in den Westzonen. 2006 wurde das Deutsche Filmmuseum in das Deutsche Filminstitut integriert. ‘Sammeln, Bewahren, Präsentieren‘ sind die Aufgaben des Filmarchivs. Als das Filminstitut gegründet wurde, gab es in Deutschland seit mehr als drei Jahrzehnten (ohne die Pionierzeit des Films vor 1918) Filmkultur und Filmwirtschaft, die damals noch stark von Stummfilm geprägt waren. Schon bei der Gründung des Filminstituts war klar, dass nach dem Zweiten Weltkrieg das deutsche Filmerbe nur lückenhaft erhalten war. Viele Filme waren in den Kriegsjahren zerstört worden, sind verschollen oder lagern in den Archiven der ehemaligen Siegermächte, u. a. in Moskau.
Das Filminstitut sammelt alles, ob künstlerisch wertvoll oder nicht. Das hat sich bewährt, denn es kommen auch hausgemachte Probleme der Filmindustrie dazu: Amerikanische Filmstudios haben viele Filme zerstört, damit diese nicht unkontrolliert auf dem europäischen Markt gezeigt werden. Heute ist das Filminstitut eine der zentralen Anlaufstellen der Filmstudios, um wieder in den Besitz von Kopien zu kommen. Das Filminstitut steht aktuell vor großen Herausforderungen. 98 Prozent der Filme sind derzeit auf analogen Medien gespeichert. Durch den Trend zur Digitalisierung werden in absehbarer Zeit viele Filme nicht mehr gezeigt werden können, da es an Abspielgeräten fehlt.
„Das Filmerbe ist so wichtig, egal ob es Stummfilmklassiker wie z. B. ‚Die Nibelungen‘ von Fritz Lang sind oder auch kleine Filme, durch die man vieles über die Zeit, in der sie gedreht wurden, lernen kann“, erläuterte Claudia Dillmann. Zur Vermittlung von Medienkompetenz gehört auch, mit älteren Filmdokumenten besser umgehen zu können. Vor allem junge Menschen sollen lernen, Filme zu lesen. Durch die Verbindung von Information über das Medium Film und einem spielerischen Zugang können junge Zuschauer erleben, wie Filme auf sie wirken. Medienkompetenz entsteht durch Sehen, Staunen, Lernen, Zulassen von Gefühlen, gedankliche Arbeit und sinnliche Wahrnehmung und ist Mittelpunkt vieler Projekte des Deutschen Filminstituts. Medienkompetent ist, wer über ein bestimmtes Rüstzeug verfügt, um zu begreifen, wie Filme zu verstehen sind. Teil dieses Rüstzeugs sind Offenheit und Neugier für anderes oder auch die Schärfung des Blicks für die Bilder. Dazu gehört es zudem zu hinterfragen, wie ein Film gemacht wurde und wie Zuschauer durch den Film (Kamera, Schnitt, Musik) manipuliert werden.
Mit Hilfe von historischen Kurzfilmen aus der Stummfilmzeit (‚Alter Marktplatz in Frankfurt‘ aus dem Jahr 1896, ‚La Danse du Feu‘ aus dem Jahr 1899) und Filmen aus den 50er Jahren (‚Kunststudentin Ursula‘, aus dem Jahr 1959 sowie ein Werbefilm für den Schnaps „Frauengold“ aus den 50er Jahren) zeigte Claudia Dillmann die Wirkungsweise der Filme auf und wie Medienkompetenz funktioniert. Die Sensation der Aufnahmen vom Marktplatz lag darin, dass die Menschen in lebendigen Bildern ihre unmittelbare Umgebung in einem neuen Medium sehen konnten. Der ‚Danse du Feu‘ bediente die Sehnsucht des Publikums nach dem Zauberhaften und Fantastischen, während die Stadt Frankfurt in dem Film über die Kunststudentin das Image einer ruhigen, tief bürgerlichen Stadt im Sinne von Rothenburg ob der Tauber (nur größer) aufbauen wollte und der Werbefilm „Frauengold“ das Klischee von der angepassten Frau betonte, die durch Alkohol beruhigt alle Herausforderungen eines Alltags im Nachkriegsdeutschland meistert.
Medienkompetenz hilft, nicht nur die Vergangenheit mittels historischer bzw. älterer Filmdokumente verstehen zu lernen, sie hilft auch im modernen Alltag: „Wir Menschen sind umgeben von Bewegtbildern. Oft wissen wir nicht, was dahinter steckt, was mit uns Menschen passiert.“ Claudia Dillmann sprach sogar von „Überforderungsfilmen“, denen junge Menschen in den digitalen Medien begegnen. Wen Filme ratlos machen, für den ist das Deutsche Filminstitut die richtige Adresse, um den Umgang mit Filmen und die „Skala der Interaktion mit dem Film“ zu verstehen. Geschieht dies, nämlich die Entstehung von Medienkompetenz, dann hat das Deutsche Filminstitut seinen Bildungsauftrag erfüllt.
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